Fragen Sie einmal Ihre Bekannten, wie diese rechts und links unterscheiden. Manche werden sagen: „Ich weiß einfach, wo was ist“, während andere sagen werden, dass sie sich vorstellen, mit welcher Hand sie einen Löffel halten würden. Wie auch immer, für einen Erwachsenen ist dieser Bezugsrahmen eine Selbstverständlichkeit. Für ein Kind hingegen kann bereits die einfache Frage „In welche Richtung ist die Eisenbahn abgebogen?“ eine echte Herausforderung sein.

Das Verständnis der Begriffe „links“ und „rechts“ ist sowohl für die Erledigung von Schulaufgaben als auch für eine gute Orientierung und das sichere Überqueren von Straßen unerlässlich. Für viele Eltern und Lehrer ist es überraschend, dass die Fähigkeit, zwischen rechts und links zu unterscheiden, aus einem ganzen Komplex von Komponenten besteht, die sich Schritt für Schritt und über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr entwickeln.

Der gesamte Prozess kann in mehrere Phasen unterteilt werden.


Das Konzept und die Idee von links und rechts

Als erstes wird ein Kind mit dem Gedanken konfrontiert, dass es auf einer Ebene zwei Seiten gibt, von denen eine „rechts“ und die andere „links“ heißt. Dieser Gedanke kommt nicht aus heiterem Himmel, auch wenn er Erwachsenen selbstverständlich erscheint. Es dauert eine Weile, bis sich ein Kind, das gestern noch ganz ohne diesen Bezugsrahmen zurechtgekommen ist, daran gewöhnt hat, dass es diesen Unterschied gibt und dass er einen Sinn hat.

Der Unterschied zwischen „oben“ und „unten“ sowie zwischen „vorwärts“ und „rückwärts“ wird irgendwie von selbst erlernt, sogar auf der Ebene der Propriozeption (Wahrnehmung der Position der eigenen Körperteile im Raum) – denn unser Körper ist in diesen Richtungen kategorisch unterschiedlich. „Links“ und „rechts“ sind dagegen völlig symmetrisch, und bis zu einem gewissen Alter kann ein Kind nicht verstehen, warum scheinbar identische Dinge unterschiedlich bezeichnet werden.

Selbst ein Erwachsener braucht Hundertstelsekunden, um zu bestimmen, wo bei einem Haus oben (das Dach) und wo unten (das Erdgeschoss) ist. Und wenn man ihn fragt, wo die rechte und die linke Seite des Hauses ist, dauert es viel länger, bis die Antwort im Kopf ankommt: nicht 1/100 Sekunde, sondern bereits ¼ Sekunde.

Um Ihrem Kind die Begriffe „rechts“ und „links“ näher zu bringen, sollten Sie diese Wörter regelmäßig in Ihrer Alltagssprache verwenden und den Unterschied zwischen den Richtungen mit Ihrer Hand zeigen. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass das Kind sich diese Bezeichnungen sofort merken kann, aber es wird bereits verstehen, dass die Seiten unterschiedlich heißen und dass es sich dabei um feste, eindeutige Namen handelt und nicht um situationsbedingte Bezeichnungen wie „die eine Seite“ oder „die andere Seite“.


Einprägen

Wenn das Kind verstanden hat, dass alles eine linke und eine rechte Seite hat, muss es sich noch merken, welche Seite welche ist. Solange die Bestimmung der Seiten noch nicht automatisch erfolgt, können verschiedene Arten von Hinweisen verwendet werden. Auch viele Erwachsene verwenden noch solche Hinweise, um die Seiten nicht zu verwechseln.

Visuelle Hinweise

Ich habe z. B. ein Muttermal am Handgelenk meiner linken Hand, und bis ich etwa 16 Jahre alt war, habe ich immer anhand dieses Muttermals überprüft, wo meine linke Hand ist. Man kann sich auch merken, an welchem Arm man eine Uhr oder ein Armband trägt. Es gibt auch universellere Möglichkeiten: Bilden Sie mit Zeigefinger und Daumen den Buchstaben „L“. Die Hand, bei der der Buchstabe in die richtige Richtung zeigt, ist die linke Hand.

Kinästhetische Hinweise

Am einfachsten ist es, wenn Sie Ihr Kind bitten, sich zu merken, mit welcher Hand es eine Gabel oder einen Bleistift hält. Welche Hand würden Sie benutzen, um mit den Fingern zu schnippen? Mit welcher Hand würden Sie jemanden grüßen? Diese Art von geistigen Handlungen entwickelt übrigens die propriozeptive Differenzierung (das ist der schöne Ausdruck für die Fähigkeit, Dinge anhand von inneren Körperempfindungen zu unterscheiden). Nach einiger Zeit sind solche imaginären Handlungen vielleicht gar nicht mehr notwendig – man spürt einfach sofort, wo links und wo rechts ist.

Um schrittweise zu lernen, links und rechts ohne weitere Hinweise zu unterscheiden, können verschiedene praktische Übungen helfen:

  • Tanzen oder Kampfsport. Der Trainer gibt ständig Anweisungen, mit welcher Hand und welchem Fuß man etwas machen oder in welche Richtung man gehen soll.
  • Bewegte „Mogelspiele“. Zum Beispiel, wenn der Spielleiter Anweisungen gibt wie „hebe deine linke Hand“ oder „dreh dich nach rechts“ und sie dann vorführt, aber seine Worte und Taten an einem bestimmten Punkt voneinander abweichen. Wer die Anweisungen des Moderators falsch ausführt, scheidet aus oder wird selbst zum Moderator!
  • Grafische Diktate

Relativität und Bedingtheit

Wenn Sie einer Person gegenüberstehen und sagen: „Mein Haus ist links“, dann könnte sie sowohl in die eine als auch in die andere Richtung schauen. Es kommt darauf an, wie Ihr Gesprächspartner den Satz versteht: Ist es von Ihnen aus oder von ihm aus gesehen links? Wenn die betroffene Person zudem nicht einfach nur vor Ihnen steht, sondern kopfüber an einer Stange hängt, wird es noch schwieriger, Ihr „links“ mit ihr zu synchronisieren.

An diesem Beispiel lässt sich gut die Relativität der Begriffe „rechts“ und „links“ erkennen. Um etwas aus der Sicht einer anderen Person zu betrachten und zu beurteilen, wo für sie rechts und wo links ist, bedarf es eines entwickelten räumlichen Vorstellungsvermögens. Konkret bedeutet das die Fähigkeit, „Dinge im Kopf zu drehen“.

Kindern kann es anfangs schwer fallen, zu unterscheiden, welches von zwei symmetrischen Objekten rechts und welches links ist. Kein Wunder, dass sie oft ihre Schuhe oder Handschuhe verwechseln. Für sie haben der linke und der rechte Schuh die gleiche Form und Farbe und sind daher im Prinzip gleich. Die schrittweise Entwicklung des räumlichen Vorstellungsvermögens hilft, den Unterschied zu erkennen und zu verstehen.

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